Mahnwachen – den Tieren ein Gesicht geben
Wenn ich einen Tiertransporter auf der Straße sehe, breche ich sofort in Tränen aus. So gerne ich in diesem Moment den Tieren, die da drin stehen, in die Augen sehen würde, ich kann es einfach nicht. Es würde mir das Herz brechen. Sonja geht es da ähnlich. Aber sie sieht hin. Sie schaut den Tieren, die auf dem Weg ins Schlachthaus sind, ins Gesicht. Und mehr noch: Sie fotografiert und filmt sie, postet die Bilder auf Social Media und gibt unseren sogenannten Nutztieren somit ein Gesicht. Was sie bei ihren Mahnwachen schon alles gesehen hat, wie der Kontakt zu den Tieren aussieht und woher sie die Kraft dafür nimmt, hat sie mir im Interview erzählt.
Bilder: Sonja Böhm
Sonja, kannst du zum Einstieg bitte einmal erklären, was Mahnwachen genau sind? Und wie laufen die Aktionen genau ab?
Mahnwachen finden vor Schlachthäusern statt. Dort stehen wir mit Schildern, auf denen Messages stehen – wie beispielsweise „Fleisch ist Mord“ oder „Artgerecht ist nur die Freiheit“, wir stellen Kerzen auf und Blumen. Wenn die Transporter mit den Tieren dann ankommen, versuchen wir, Videos und Fotos von den Tieren zu machen. So möchten wir die Öffentlichkeit auf die ausbeuterische Tierindustrie aufmerksam machen. Die sogenannten „Nutztiere“, die da einfahren, haben noch nie Tageslicht gesehen – und auch sie hat nie jemand gesehen. Sie landen ungesehen bei irgendjemandem auf dem Teller. Durch unsere Aktionen möchten wir deshalb den Opfern dieser schrecklichen Maschinerie – also den Tieren – ein Gesicht geben.
Was und wen möchtest du damit erreichen? Was ist dein Ziel?
In allererster Linie möchte ich natürlich den Käufer tierischer Produkte auf dieses schreckliche Leid und auf die Tiere, die dahinter stehen, aufmerksam machen. Es gibt Menschen, denen ist gar nicht bewusst, dass dort überhaupt ein Schlachthof ist. Wenn wir vor dem Schlachthof stehen, halten immer wieder auch Leute an und fragen, was wir hier machen, bis wir auf den Schlachthof deuten. Wenn das Stück Fleisch oder die Bratwurst auf dem Teller liegen, deutet eigentlich nichts mehr darauf hin, dass diese mal fühlende Lebewesen waren. Wir Menschen können so etwas ja sehr gut verdrängen. Durch unsere Aktionen möchten wir genau das sichtbar machen.
Wie sind die Reaktionen der Menschen, die an euch vorbeilaufen/fahren und wie reagieren die LKW-Fahrer auf euch?
Da erleben wir eigentlich alles. Daumen hoch, Lob, Hupen, immer wieder bekommen wir aber auch den Vogel oder den Mittelfinger gezeigt oder Leute schreien uns „Fleisch“ oder Beleidigungen entgegen. Die LKW-Fahrer mögen uns nicht besonders und unsere Anwesenheit gefällt ihnen gar nicht. Ich bin von einem Fahrer schon mal angegriffen worden. Ich wollte wie immer Videos von den Tieren machen. Der Fahrer ist dann ausgestiegen, kam zu mir rüber, packte mich am Arm und an der Schulter und schrie mich an, ich solle aufhören, Videos zu machen. Daraufhin hab ich dann die Polizei gerufen.
Habt ihr Zeit, euch den Tieren zuzuwenden? Inwiefern habt ihr Kontakt zu ihnen?
Das hängt leider vom Tag und davon ab, ob das Tor zum Schlachthof offen steht oder ob es geschlossen ist. Samstags und sonntags kann es vorkommen, dass nach den ersten Transportern ein Schlachthofmitarbeiter das Tor arretiert und dann bleibt es offen. Wir haben dann leider sehr wenig Möglichkeiten, uns den Tieren zu nähern und Aufnahmen von Schweineschnauzen oder den wunderschönen Rinderaugen oder ihren teils völlig verängstigten Gesichtern zu machen, da die Transporter viel zu schnell an uns vorbeifahren. Wenn das Tor geschlossen ist, muss der Fahrer erst anhalten. Das ist dann unsere Gelegenheit, Aufnahmen zu machen und die Tiere sogar leicht zu berühren – natürlich sehr vorsichtig. Wenn die Möglichkeit besteht, nähern wir uns ruhig und sprechen sanft. Wir sagen ihnen, dass wir sie niemals vergessen werden und dass sie ganz zauberhafte Geschöpfe sind.
Und wie reagieren die Tiere auf euch?
Wie wir Menschen auch, haben Schweine ganz unterschiedliche Persönlichkeiten. Manche kommen ganz neugierig und offen auf uns zu, halten ihre Rüssel raus und können gestreichelt werden. Andere sind völlig verstört und scheu, vielen stehen die Angst und die Ohnmacht ins Gesicht geschrieben. Ob die Tiere in dem Moment wissen, was auf sie zukommt, kann ich schwer sagen. Ich bin mir aber sicher, dass sie, wenn sie abgeladen werden und sie den Schlachthof betreten, wissen, was auf sie zukommt. Die riechen das ja auch. Oft hören wir draußen auch ihre Schreie.
Wie kommen die Tiere am Schlachthof an? In welchem Zustand sind sie?
Zum Teil sehen die Tiere wirklich richtig fertig aus. Viele haben hunderte Kratzer, die oft von der Enge kommen und die die Tiere sich selbst zufügen. Einige haben auch Eiterbeulen am Kopf, kaputte Füße, können kaum mehr aufstehen, geschweige denn gehen. Viele haben knallrote Augen vom Ammoniak in den Anlagen und bekommen sie fast nicht mehr auf. Ein Schwein hatte auch mal ein komplett kaputtes Auge.
Wenn man da so steht, bekommt man sicher viel zu sehen, oder?
Leider ja. Um nur mal einige Beispiele zu nennen:
Schweine müssen gekennzeichnet sein, damit rückverfolgt werden kann, woher sie kommen. Da sie ja nach dem Schlachten in der Regel in zwei Teile zerlegt werden, brauchen sie dieses Kennzeichen sowohl auf der linken als auch auf der rechten Seite. Dafür bekommen sie mit einem sogenannten Schlagstempel auf jede Pobacke ein Zeichen tätowiert. Der Schlagstempel hat einen langen Griff, am oberen Ende ist eine viereckige Platte befestigt, die mit Nägeln besetzt ist, welche Buchstaben und Zahlen ergeben – ähnlich wie bei Eiern. Mit diesem Schlagstempel wird im Sekundentakt auf die Tiere eingeschlagen, dabei bohren sich die Spitzen mit Tinte in die Haut. Und das passiert nicht auf die sanfte Art, man hört richtig, wie die Tiere damit geschlagen werden. Dieses Prozedere muss eigentlich unmittelbar vor dem Verladen zum Schlachthof passieren. Ein Landwirt macht das aber immer erst beim Abladen. Wir haben darüber auch mit einem Anwalt gesprochen und das Ganze zur Anzeige gebracht – aber nie wieder etwas gehört.
Oft hört man auch, wie die Tiere mit Paddeln geschlagen werden, damit sie von den Transportern runtergehen. Eigentlich darf man sie mit den Dingern nur leicht führen. Aber auch da haben wir schon alles gesehen. Die nehmen das Paddel zum Teil hochkant und schlagen die Tiere damit auf den Kopf.
Die Tiere und ihr ganzes Leid so zu sehen, tut sicher unglaublich weh. Woher nimmst du die Kraft, das zu tun? Was motiviert dich?
In allererster Linie denke ich dabei an die Tiere. Für sie will ich das aushalten. Die Tiere gehen da in den Tod, ich steh hier zwei Stunden und kann danach nach Hause fahren, mich auf die Couch setzen und mir einen Tee machen und habe „im schlimmsten Fall“ kalte Füße. Was ist das gegen das, was diese Tiere ihr ganzes Leben erleiden mussten? Sie haben niemals Liebe erfahren, sie konnten niemals ihren Bedürfnissen nachgehen, haben noch nie Sonnenlicht gesehen und gespürt. Das ist mein Antrieb und daraus ziehe ich meine Kraft. Wenn ich über das Ganze nachdenke und auch sehe, was die Menschen zum Teil in ihren Einkaufswagen vor sich herschieben, werde ich manchmal richtig wütend. Auch daraus entsteht bei mir eine gewisse Kraft und eine Motivation, dieses furchtbare Leid zu beenden und den Tieren meine Stimme zu geben.
Wie geht es dir nach solchen Aktionen? Wie verarbeitest du das?
Oft sitze ich nach den Mahnwachen im Auto und weine. Mir blutet immer das Herz und nach der jeweiligen Mahnwache bin ich zu nix zu gebrauchen. Wenn Du jemals eine Schweineschnauze oder eine feuchte Rindernase in einem Transporter berührt hast, zerreißt es dich innerlich. Ich gehe dann in mich und gedenke im Stillen. Generell denke ich jeden Tag an den Schlachthof und an die Tiere. Egal wo ich auf der Straße unterwegs bin, ich halte nach den Transportern Ausschau, da geht natürlich auch immer das Kopfkino an. Wenn ich einen sehe, überlege ich, zu welchem Schlachthof fährt der jetzt wohl, wo kommt er her? Das bekommst du nicht mehr aus dem Kopf.
Gibt es ein Erlebnis, das dir besonders in Erinnerung geblieben ist?
Bei einer Mahnwache ist uns mal ein Schwein entgegengekommen, das beim Abladen entkommen ist. Und dann stehst du da, schaust dem Tier in die Augen und kannst ja einfach nichts machen. Das Tier wiegt circa 120 Kilogramm, du kannst es nicht einfach unter den Arm nehmen und es ins Auto packen. Und selbst wenn – wo sollte ich das Tier unterbringen? Es gibt da ja Auflagen ohne Ende, wenn du Schweine halten willst. Also mussten wir einen Schlachthofmitarbeiter rufen, damit er dieses arme Tier einfängt. Das war einfach nur schrecklich, das hat mir das Herz gebrochen.
Danke Sonja, für alles, was du für die Tiere tust! Danke, dass du hinsiehst und den Tieren zumindest einmal in ihrem Leben zeigst, was Menschlichkeit bedeutet.
Du möchtest mehr über Sonja und Mahnwachen erfahren oder sogar mal an einer teilnehmen?
Hier kannst du Kontakt zu Sonja aufnehmen:
Dieses System beutet Lebewesen auf‘s Übelste aus, Tiere werden verstümmelt, gequält und meist im Kindesalter ermordet. Ich selbst lebe, um diese Grausamkeiten nicht mehr zu unterstützen, vegan. Ich habe allergrößten Respekt und Hochachtung vor Sonja, was sie da leistet. Sie macht aufmerksam auf diese Ungerechtigkeit an den Tieren. Ich zieh meinen Hut vor ihr!
Ja, ich auch! 🙂 Es ist so wichtig, dass sie die Tiere aus ihrer Anonymität rausholt.