Kerstin Brueller – Eine Stimme für die Tiere

Kerstin Brueller – Eine Stimme für die Tiere

Okt 30, 2022 | Inspiring Earthlings

Kerstin Brueller ist ‘Emotional Brand’- und Grafikdesignerin im Bereich vegane Unternehmen, Tieraktivistin online sowie offline und führt seit 2021 gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten die vegane Merch-Marke RULE OF NINES.
Seit fast fünf Jahren lebt sie aus ethischen Gründen vegan. Ende 2017 stieß ihr Lebensgefährte im Zuge seiner Personal-Trainer-Ausbildung auf Ethik-Videos von Patrik Baboumian, sowie die Dokumentation “What the Health” sowie diverse aufklärende Videos von Straßenaktivist:innen – ganz unerwartet wurde so in ihr ein Schalter umgelegt. Plötzlich konnte sie die Tiere sehen und hören, verstand die Problematik und die Grausamkeiten des Tierkonsums und wollte mehr über die Tierindustrie wissen. Die Informationen waren unfassbar unangenehm und schmerzhaft, aber sie konnte und wollte dieses Tierleid nicht mehr unterstützen, sondern aktiv etwas dagegen tun.

Bilder: Kevin Rauscher, Nicole Kerzendorfer

Kerstin Brueller, Tierrechtsaktivistin, Tierrechte, Veganismus

Seit wann bist du aktivistisch unterwegs? Gab es dafür einen konkreten Auslöser?

Ich war eigentlich sofort aktivistisch unterwegs, da ich meiner Familie und Freund:innen mein neu erlerntes Wissen mitteilen wollte/musste, was teils zu Verständnis und Veränderung führte, doch auch zu getrennten Wegen. Es zeigte mir ganz klar Grenzen zu setzen, meinen Werten zu vertrauen und diesen zu folgen. Nach vier Monaten nutzte ich Social Media und baute mein damaliges Model-Profil zu einem Aktivismus-Profil um, da es für mich einfach Sinn machte, meine Reichweite zu nutzen, um den Tieren eine aufklärende Plattform zu bieten. Nach 9 Monaten schloss ich mich Straßenaktivist:innen in Wien an und organisierte Aktionen mit. Seit 2020 bin ich hauptsächlich online in der Aufklärung mit stark emotionalem Fokus tätig, unterstütze diverse Projekte, Aktivist:innen und Lebenshöfe mit meinem Wissen und Können in der Grafik und organisieren ab und an noch Aktionen mit.

Würdest du sagen, dass dich der Aktivismus verändert hat? Wenn ja, wie?

Der aktive Blick auf das Tierleid und die Tiere selbst hat mich verändert. Die Tiere haben mir gezeigt, wer ich bin, wer ich sein will und wer ich definitiv nicht mehr sein will. Sie haben mich zum Nachdenken und Reflektieren gebracht, meine Werte gestärkt, meine Persönlichkeit wachsen und an die Oberfläche kommen lassen und mir ganz klar meine Grenzen und Ansichten in Sachen Toleranz und Respekt aufgezeigt. Mein Aktivismus ist das Ergebnis und die Reaktion auf das, was mir die Tiere gezeigt haben und weiterhin zeigen. Der Tieraktivismus hat mich insofern verändert, als dass ich gelernt habe, bestimmte Ängste sowie soziale Normen, persönliche Grenzen und meine eigene Komfortzone zu überwinden. Es ist ein ständiger Prozess, die Angst und das Unbehagen durch Mut und den Drang nach Gerechtigkeit zu ersetzen.

 

So anstrengend der Aktivismus sein kann, so erfüllend ist er doch auch. Was gibt dir der Aktivismus?

Der Aktivismus gibt mir die Möglichkeit, meine Stimme und meine Reichweite sinnvoll zu nutzen für nicht-menschliche und menschliche Tiere. Er ist für mich auch ein Ventil, um mit Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit, Hilflosigkeit, Wut und all den belastenden Emotionen fertig zu werden, die dazu beitragen, sich dem Weltschmerz zu ergeben. Insbesondere die Verwendung des Megaphons bei Märschen oder Demonstrationen hat bei mir eine große persönliche Veränderung bewirkt und mir gezeigt, wie viel Kraft in mir steckt.

„Der Aktivismus gibt mir die Möglichkeit, meine Stimme und meine Reichweite sinnvoll zu nutzen.“

Woher nimmst du deine Energie und deine Motivation?

Meine Energie und Motivation beziehe ich aus dem Bewusstsein, was hinter verschlossenen Türen an unvorstellbarem Leid geschieht. Selbst als Veganerin und Aktivistin unterdrücke ich oft unbewusst das Leid von Tieren, um proaktiv und effektiv zu arbeiten und meinem Alltag nachgehen zu können. In einem angemessenen Umfang schaue ich mir jedoch bewusst Foto- und Videomaterial an, um tiefsitzende Emotionen zuzulassen und die Flamme hochzuhalten, ohne mir dabei selbst übermäßig zu schaden.

Was war für dich bisher der emotionalste Moment in deiner Arbeit als Aktivistin? Vermutlich gibt es da mehrere?

Tatsächlich gibt es einige Momente, die unterschiedlichste Emotionen in mir ausgelöst haben. Der wohl prägendste Moment war der Zugang zu einem lokalen kleinen Schlachthof in Niederösterreich, als ich und zwei andere Aktivist:innen die letzten Minuten mit Schweinen verbracht haben, bevor ihnen ihr Leben genommen wurde. Dieser Moment hat mich der dunklen Realität von Tieren in der Industrie direkt ins Auge sehen lassen. Wenn ich heute an diesen Moment zurück denke, ist da einfach nur Dunkelheit, Schwere und eine unheimliche Stille.
Einer der positivsten und überwältigendsten Momente war, als meine Mutter und mein mir Stiefvater sagten, dass sie genau verstehen und nachempfinden können, warum mein Leben eine solche Wendung genommen hatte und selbst Veganer:innen für die Tiere wurden. Ich bin jedoch auch immer sehr emotional aus Dankbarkeit wenn man mir eine Plattform bietet, weil man einen Mehrwert in der Art und Weise meiner Kommunikation für und mit den
Tieren sieht.

Aus deiner Erfahrung als Aktivistin: Was denkst du, wie und womit man die Menschen am besten für dieses Thema erreicht und sensibilisiert?

Ich sehe nicht, dass es einen allgemein gültigen „besten“ Weg gibt, sondern einen
authentischen Weg für jeden selbst, je nach persönlicher Entwicklung. Allerdings sehe ich die Stärke in der Zusammenarbeit und dem Zusammenhalt verschiedener aktivistischer Aktivitäten von Aktivist:innen und Organisationen für spezifische Aktionen.

Gibt es deiner Meinung nach guten und schlechten Aktivismus?

Ich empfinde nicht, dass es guten oder schlechten Aktivismus gibt. Ich persönlich empfinde höchstens, dass es suboptimale Wege gibt, auf bestimmte Themen aufmerksam zu machen – beispielsweise wenn keine Strategie und kein klares Ziel dahinter stecken. Aktivismus ist jedoch sehr individuell und darf daher nicht nur einseitig betrachtet werden. Beim Aktivismus geht es einerseits um die individuelle und andererseits um die systematische Veränderung, danach werden Strategien ausgerichtet. Es gibt kein Richtig und kein Falsch, eher effektive und weniger effektive Formen.
Verschiedene Formen des Tieraktivismus erreichen jedoch unterschiedliche Menschen in diversen emotionalen und sensiblen Phasen ihres Lebens. Manche brauchen klare Worte und direkte Kommunikation, anderen öffnet ein einziges Video die Augen und das Herz.

„Meine Motivation beziehe ich aus dem Bewusstsein, was hinter verschlossenen Türen an unvorstellbarem Leid geschieht.“

Viele Veganer*Innen sagen ja, dass sie erst seitdem sie vegan leben, in Einklang mit ihren Werten leben. Ist das bei dir auch so? Und kannst du ein bisschen näher erklären, was genau damit gemeint ist?

Die Aussage von Veganer:innen, dass sie endlich im Einklang mit ihren Werten leben, kann ich komplett nachempfinden und bestätigen. Als ich mich mit dem Tierleid bewusst auseinandergesetzt hatte und mir eingestanden hatte, dass ich bislang mitverantwortlich für so viel Leid war, war bei mir das Potential für eine tiefgreifende persönliche Entwicklung und Veränderung gegeben. Ich hatte mich immer als sensiblen, empathischen und mitfühlenden Menschen gesehen, der Tiere liebt und respektiert (so wurde ich auch erzogen und das war mir wichtig), doch meine Handlungen sagten das Gegenteil über mich aus und entsprachen nicht meinen Grundwerten des Mitgefühls, der Achtung des Lebens, des Schutzes der Verletzlichen, usw. Ich trug direkt zum Tierleid bei, indem ich meinen Geschmack über das Leben anderer stellte und egoistisch handelte, hauptsächlich aus einem Mangel an Informationen heraus. Seit ich vegan lebe, ist die Brücke zwischen meinen Werten und meinem Handeln gebaut.

Warum denkst du, fällt es trotzdem vielen Menschen so schwer, konsequent (oder auch nur ansatzweise) vegan zu leben?

Für manche Menschen ist es immer noch so schwer, sich pflanzlich zu ernähren und in allen Lebensbereichen vegan zu leben, weil sie zu sehr auf sich selbst konzentriert sind. Es ist entscheidend, die Tiere zu sehen und die Situation aus der Sicht der Tiere zu begreifen. Keine Unannehmlichkeit oder „Einschränkung“ steht auch nur im Entferntesten im Verhältnis zu den Leiden und Qualen, denen nichtmenschliche Tiere ausgesetzt sind.

Aktivismus bedeutet nicht ausschließlich, laut schreiend durch die Straßen zu ziehen. Das ist ja nur eine von vielen Möglichkeiten, sich für Tiere einzusetzen. Wie kann man sonst noch aktiv werden?

Tieraktivismus hat viele Gesichter. Es ist jedoch wichtig, Tiere und ihr Elend sichtbar zu machen. Aktivismus hat im Tierrechtsbereich nichts mit uns direkt als Person zu tun und ist nicht dazu da, unser Ego zu pushen, sondern wir sind ein Mittel zum Zweck, um Informationen zu vermitteln, die zu drastischen Veränderungen führen sollen. Natürlich ist es wünschenswert, dass wir dabei auch als Mensch weiter wachsen und dazulernen. Wenn wir ehrlich sind, kann das Schreien in ein Megaphon ziemlich mächtig, großartig und befreiend sein, aber es gibt so viele andere Möglichkeiten, sich jeden Tag für Tiere einzusetzen und nachhaltige Veränderungen zu schaffen. Egal wie groß oder klein die Reichweite in den sozialen Medien ist, jeder Post, jedes Video, jede Bildunterschrift zählt und kann sogar bequem von zu Hause aus oder auf dem Weg zur Arbeit veröffentlicht werden. Vor allem ist hier auch strategisch zu denken, was momentan aktuell und vorrangig wichtig ist. Wenn jemand den direkten Kontakt zu Tieren bevorzugt, können Lebenshöfe und Tierheime unterstützt werden, indem die körperlicher Arbeitskraft zur Verfügung gestellt wird. Es gibt immer Dinge zu reparieren, zu basteln oder bei der Pflege von geretteten Tieren zu helfen. Eine monatliche Spende, egal in welcher Höhe, hilft den Lebenshöfen, ihre Finanzen zu regeln und vorausschauend zu planen. Wenn sich jemand gerne künstlerisch betätigt, sei es in Form von Musik, Gesang, Illustration, Schneidern, Konstruieren und Poesie u.v.m. kann diese Tätigkeit direkt in Verbindung mit der veganen Botschaft und den Tierrechten gebracht werden.
Bei Interesse, in verschiedene aktivistische Tätigkeiten einzutauchen, empfehle ich immer lokale vegane Events, Stammtische und Erst-Atkiv-Treffen zu besuchen und mit bereits Aktiven zu sprechen.

„Die Tiere haben mir gezeigt, wer ich bin, wer ich sein will und wer ich definitiv nicht mehr sein will.“

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