Das Projekt „Lebenslänglich“
Bilder: Juliane Habersatter
Juliane, wie sah euer Alltag und der Alltag der Tiere bisher aus?
Normalerweise war es bei uns in der Bio-Mutterkuhhaltung so: Die Kühe wurden im Sommer, während sie auf der Alm waren, von einem Stier begleitet, der sie „gehüpft“ hat, wodurch sie dann trächtig waren. Im Frühjahr, nach 9 Monaten Tragezeit, kamen dann die Kälber zur Welt. Mit den ersten Kälbern beginnt dann die Weidezeit – die Kühe sind mit ihren Kälbern draußen auf der Weide. Ab circa Juni kommen sie alle zusammen (wieder mit Stier) auf die Alm, wo sie als Mutterkuhherde den Sommer genießen. Etwa im September kommen sie alle zusammen zurück auf den Hof, wo sie dort noch circa einen Monat auf der Weide beim Haus sind. Im Oktober, spätestens Ende November, kommen dann die Kälber weg, da sind sie dann 4-6 Monate alt. Die letzten Jahre war es so, dass dann ein Viehhändler mit dem LKW kam, der sie abholte. Vereinzelt, wenn Nachwuchs für die Zucht behalten wurde, kam auch dementsprechend eine ältere Kuh weg. Der Bestand wurde für den Winter auf 20 Stück verringert, da vom Stall und vom Futter her nicht mehr möglich ist. So war der Jahreskreislauf bisher in unserer Mutterkuhhaltung.
Wie kam es dazu, dass ihr aus der Nutztierhaltung aussteigen wollt? War es ein längerer Prozess? Gab es einen ausschlaggebenden Punkt? Oder mehrere? Wann war der Zeitpunkt, an dem ihr euch ganz konkret dazu entschieden habt, aus der Nutztierhaltung auszusteigen?
Wir haben 2019 damit angefangen, uns vermehrt mit den Themen Verschwendung und Müllproduktion auseinanderzusetzen. Daraufhin lebten wir plastikreduziert, kauften Second Hand und lebten so gut es ging den Minimalismus-Style. So kamen wir im Dezember 2019 immer mehr auf das Thema Ernährung und zwangsläufig auch auf die positiven Auswirkungen einer vegetarischen/veganen Ernährung. Diverse Filme wie „What the health“, „Cowspiracy“, „Das System Milch“ und „The Game Changers“ waren Augenöffner für uns. So kam es, dass wir im Januar 2020 beschlossen, vegetarisch zu leben und so viel wie möglich durch vegane Lebensmittel zu ersetzen.
Im März wurde uns dann klar, dass unsere Ernährungsweise nicht mehr mit unserem Betrieb vereinbar war, da wir ja immer noch ein Teil dieser Fleischproduktion waren, wenn wir unsere Kälber jedes Jahr verkauften, die wir „produziert“ hatten. Also suchten wir nach Lösungen und kamen auf die Idee mit dem Lebenshof. Durch die Coronakrise und die extrem schlechte wirtschaftliche Zeit waren wir ein wenig unsicher, doch im April dieses Jahres war dann klar, dass wir unsere Kühe nun nicht mehr „schwängern“ werden. So kam das Projekt „Lebenslänglich“ auf, auch wenn uns zu dem Zeitpunkt noch nicht klar war, was das für die heurigen Kälber, die ja nun schon da waren, bedeuten würde.
Wo seht ihr den Mehrwert für euch, aus der Nutztierhaltung auszusteigen?
Die Gründe meines Mannes und für mich sind sehr unterschiedlich. Er sieht den stressfreien Aspekt, wenn die Kühe einfach nur Kühe sein dürfen, keine Sorgen mehr beim Abkalben, ob alles gutgeht, weniger Tierarztkosten, falls es bei der Geburt Probleme gibt; kein Stier, der gefährlich werden könnte auf der Alm; weniger Stress und Mitleid im Herbst, wenn die Kühe von ihren Kälbern getrennt werden müssen. Für ihn ist wichtig, dass der landwirtschaftliche Betrieb mit „Landschaftspflege“ im Einklang mit der Natur auf biologische Weise erhalten bleiben kann. Er möchte weiterhin die Wiesen und die Alm bewirtschaften und nachhaltige Waldwirtschaft betreiben. Sein Mehrwert liegt also in einem ruhigen, sorgenlosen, stressfreien Dasein als Landwirt.
Bei mir ist es so, dass ich einfach das ganze System verabscheuungswürdig finde. Hundertausende Kälber sterben jährlich als Abfallprodukt der Milchwirtschaft, Unmengen von Kälber werden nur wegen ihres Fleisches gezüchtet, unzählige Tonnen Getreide werden nur für Tiere produziert, die wir Menschen dann essen. Das ganze System ist so abartig und viel zu billig, doch immer noch genug gewinnbringend für Firmen und die Fleischlobby. Jeder kleine Bauer, der Milch oder Fleisch produziert, ist Teil dieses Systems. Mein Mehrwert ist daher, einfach ein Zeichen zu setzen und unsere Kühe aus diesem System herauszuholen.
„Ich finde einfach das ganze System verabscheuungswürdig.“
Auf eurer Webseite habt ihr geschrieben: „Man sieht die Verbindung von den eigenen Tieren zur Massentierhaltung.“ Aber ihr seid ja eigentlich ein kleinerer Betrieb. Wie genau entsteht da diese Verbindung zur Massentierhaltung?
Wie schon oben erwähnt – jeder, der in diesem System ist, bekommt auch Kälber, die er in dieses System gibt. Egal ob Verkauf in die Mast, zum Schlachthof oder um es im eigenen Betrieb zu behalten. Somit kann sein Kalb jenes sein, das dann Soja aus Südamerika frisst, das im Schiff nach Lybien verfrachtet wird oder das Gülle produziert, die dem Boden den endgültigen Rest gibt und das Grundwasser verseucht. Jedes Kalb reproduziert sich ja auch – es liegt an den Landwirten, diese Kette zu unterbrechen.
Für mich als Außenstehende sieht die Landwirtschaft oft nach einer Lose-Lose-Situation aus. Die Tiere werden gequält und ausgebeutet. Die Menschen, die in diesem System arbeiten, leiden darunter und nicht zuletzt ist das Ganze ja auch noch ziemlich schädlich für die Umwelt. Könntet ihr das so bestätigen?
Das siehst DU so – als Landwirt sieht man das nicht. Man quält und beutet seine Tiere ja nicht aus. Man kümmert sich um sie, man versorgt sie. Es ist „normal“, dass es dann an der Zeit ist, die Kälber zu schlachten oder zu verkaufen, oder die Kühe gegen jüngere auszutauschen. Man macht sich vielleicht kurz Gedanken, wenn ein Tier geholt und weggebracht wird, aber eigentlich ist es für einen Landwirt normal und Teil seines Lebens – teilweise schon seit Generationen. Oftmals ist er ja schon damit aufgewachsen. Da kann es sogar vorkommen, dass man ein Kalb, das man der Mutter kurz nach der Geburt entrissen hat und das mit „externer“ Milch versorgt wird und in einem kleinen Kälberiglu steht, mal draußen an einen Baum anbindet, ein Foto davon macht und es mit dem Titel „Frische Luft genießen“ ins Internet stellt – mit dem Hashtag #tierliebe. Sie denken, das sei Tierliebe. Deshalb wird ein Tierschützer oder Veganer mit Verurteilungen oder Anfeindungen nie weit kommen, weil es für sie normal ist – da braucht es ganz viel Aufklärung, bis es irgendwann KLICK macht.
In den Medien hört man immer wieder, dass das System, in dem Landwirte wirtschaften müssen, nicht rentabel für sie sei. Wie war das bei euch?
Ich sag mal so, wenn wir nicht im Tourismus wären (Privatzimmervermietung – Urlaub auf dem Bauernhof quasi), dann könnten wir das im Vollerwerb auch nicht stemmen. Die Landwirtschaft braucht nicht nur viel Arbeitszeit, sondern auch teure Maschinen, Futter, Kraftfutter, Wasser, etc. Die Sozialversicherung der Bauern ist auch zu bezahlen, egal ob jemand noch arbeiten geht oder nicht. Oftmals ist es nach einem Generationenwechsel so, dass der „alte“ Hof renoviert gehört – Dach, Fassade, Heizung, etc., da oftmals einiges bereits in die Jahre gekommen ist. Und wenn man Pech hat, entspricht der Stall nicht den aktuellen EU-Vorgaben und dann müssen Hunderttausende von Euro in einen neuen Stall investiert werden. Viele Landwirte, die nur den Hof haben ohne zusätzliche Einnahmen, müssen nebenbei arbeiten gehen, sonst wäre es nicht machbar. EU-Förderungen, Milch oder Fleisch allein reichen nicht aus.
Habt ihr bisher Subventionen vom Staat/EU erhalten? Ändert sich durch die Umstellung was daran?
Wir bekommen eine Förderung für die bewirtschafteten Flächen und für die Alm. Die gibt es auch weiterhin. Da wir eine „seltene Nutztierrasse“ haben, gibt es für die Zucht pro Mutterkuh 180 € im Jahr. Das fällt ab nächstes Jahr weg. Deshalb wollen wir mit Patenschaften mindestens diese 180 € pro Kuh erreichen. Außerdem haben wir durch die Umstellung nächstes Jahr keinen Verkaufserlös durch die Kälber mehr. Insgesamt entgehen uns dann also etwa 11.000 € jährlich – unser Ziel ist, zumindest 10.000 € jährlich „auszugleichen“, um wirtschaftlich dadurch kein zu großes Loch einzureißen.
„Es liegt an den Landwirten, diese Kette zu unterbrechen.“
Ein paar Kälbchen und Mutterkühe können ja leider aus Platzgründen nicht bei euch bleiben. Konnten sie mittlerweile vermittelt werden?
Dadurch, dass wir ja ziemlich kurzfristig ausgestiegen sind, sind wir noch im laufenden Jahr – wir bekommen im Moment noch die letzten Kälber für heuer. Es wäre geplant gewesen, die Tiere so wie jedes Jahr zu verkaufen, da es der Platz ja nicht zulässt, dass wir mehr als 20 Tiere behalten. Wir MÜSSEN im Oktober den Bestand reduzieren, da kommen wir leider nicht drum herum. Es sind also 10 Kälber und 2 Kühe zu viel, für die wir einen Platz suchen, wo die Tiere außerhalb des Systems leben können. Der Preis aller Tiere ist bereits von einem Tierschützer zugesagt, es geht also nur noch um den Platz. Also, falls jemand Tiere aufnehmen kann oder eine Idee hat, wo sie unterkommen können, bitte melden!
Wie kann man euch konkret unterstützen?
Da gibt es mehrere Möglichkeiten. Alle Infos findet ihr auf unserer Webseite www.lebenslaenglich.at
So kann man uns zum Beispiel mit Patenschaften, Spenden, PayPal oder „Buch statt Spende“ unterstützen oder bei teaming.net, wo man uns mit nur 1 Euro helfen kann. Hierfür bei Teaming einfach nach „Lebenslänglich“ suchen, dann tauchen wir schon auf. Auf unserer Facebook-Seite im ersten gepinnten Post sind sonst auch alle Möglichkeiten verlinkt und aufgelistet.
Zum Schluss möchte ich noch allen danken, die uns bisher unterstützt und begleitet haben! All die positiven Nachrichten bestärken uns darin, diesen Weg zu gehen, und geben uns Kraft! DANKE!
Vielen Dank für dieses interessante Interview. Als Veganerin und ‚Stadtkind‘ komme ich selten zu Gesprächen mit Bauern/Bäuerinnen. Und ich lerne gern wie das Ganze funktioniert und wie sie umstellen. Herzlichen Dank!!
Ich danke dir! Ich fand es auch super spannend, sowas mal wirklich aus erster Hand zu hören 🙂
Ich finde die Einstellung dieser Familie großartig und wünsche ihr viel Erfolg bei der Umstellung auf ihr „Lebenslänglich“ Projekt. Mögen sich viele Unterstützer finden!
Wir haben uns schon das „Hinkebein“ Patenkind ausgesucht und freuen uns, es lange begleiten zu dürfen
Ich finde das auch ganz toll und ich hoffe, dass sich noch viele weitere Landwirte für diesen Schritt entscheiden 🙂 Vielen Dank für die Patenschaft! Es ist so wichtig, dass man sowas unterstützt 🙂