Die Stadttaube – ein völlig missverstandenes Tier
Auf der einen Seite sind Tauben ein Symbol für Frieden, Treue und Reinheit. Auf der anderen Seite werden sie als „Ratten der Lüfte“ und Krankheitsüberträger beschimpft. Allein daran erkennt man, wie missverstanden diese Tiere mittlerweile sind. Zum Glück gibt es Menschen, die Tauben mögen und ihnen dabei helfen, sich in der Stadt zurecht zu finden. Silvie Brucklacher-Gunzenhäußer ist zum Beispiel so ein Mensch. Sie arbeitet seit 30 Jahren im Verwaltungsrat des Stuttgarter Tierschutzes. 2008 hat sie das Stadttauben-Projekt in Stuttgart gegründet und konnte seither schon jede Menge für die Tiere erreichen. Mir hat sie erzählt, wie ihre Arbeit mit Tauben aussieht und was sie in dieser Zeit schon alles erlebt hat.
Als Tauben für den Menschen noch nützlich waren, waren diese angesehene Tiere, sie wurden gezüchtet und verehrt. Als der Mensch dann keine Verwendung mehr für sie hatte, überließ er sie sich selbst. So sind Stadttauben, entgegen vieler Annahmen, keine Wildtiere, sondern Nachkommen ausgesetzter Haustauben und mittlerweile bei den meisten Menschen leider extrem unbeliebt, wenn nicht sogar gehasst. Stadttauben sind heimatlose Tiere, die in den Städten nichts zu essen finden. Aber dafür gibt es mittleweile in vielen Regionen Lösungsansätze: Taubenschläge – „Sie sind für die heimatlosen Stadttauben ein Zuhause. Dort bekommen sie täglich Körner, Grit und frisches Wasser“, erzählt Silvie Brucklacher-Gunzenhäußer. Dabei wird auch regelmäßig nach kranken Tieren Ausschau gehalten, die gegebenenfalls zum Tierarzt und/oder in eine Pflegestelle gebracht werden müssen. Die Einrichtungen haben aber noch eine weitere Funktion: „Unser Ziel ist es, dass die Tauben sich sicher fühlen und ihre Nester in den Taubenschlägen bauen können. Dort legen sie fünf bis sieben Mal im Jahr jeweils zwei Eier, die wir gegen Kunststoffeier austauschen.“ Auf diese Weise kann weiterer Nachwuchs verhindert werden, denn der Mensch hat den Tauben einen Brutzwang angezüchtet. Dabei ist es egal, ob genügend Nahrung vorhanden ist oder nicht. Sie sind quasi gezwungen zu brüten. „Allein in Stuttgart haben wir bereits 55.000 Eier ausgetauscht. Am Marienplatz gibt es zum Beispiel einen Taubenschlag im Kaiserbau. Die dortigen Gastronomen teilen uns regelmäßig mit, dass sie einen deutlichen Rückgang der bettelnden Tiere feststellen. Dabei geht es uns um eine tierschutzgerechte Versorgung der Stadttauben. Die Errichtung der Taubenschläge ist ein zukunftsgerichtetes Projekt, das in einigen Jahren einen deutlichen Rückgang der Stadttauben zeigen wird.“
Leider gibt es momentan aber noch nicht so viele Taubenschläge, dass alle Tauben davon profitieren können. Viele von ihnen streunen nach wie vor hungrig durch die Städte. „Jeder sieht, wie die ehemaligen Haustiere verzweifelt nach Futter suchen. Doch wo gibt es Körner in den Städten? Nirgends natürlich. Deswegen fressen sie so gut wie alles, nur um zu überleben. Das ist vermutlich auch einer der Gründe, weshalb Stadttauben nur ein bis drei Jahre alt werden. Eigentlich können sie bis zu 15 Jahre alt werden.“ Dass man diesen hungrigen Tieren einfach immer wieder mal ein paar Körner und Samen gibt, ist übrigens in den meisten Städten nicht erlaubt. „Die Gemeinderäte der Städte entscheiden sich leider völlig empathielos für den einfachen Weg des Verhungerns“, erzählt mir Silvie. Die Devise der Gemeinderäte lautet also: Je weniger Tiere Essen finden, desto eher erledigt sich dieses „Problem“ von selbst.
Neben der vergeblichen Suche nach Futter begegnen den armen Tiere auch noch weitere Schwierigkeiten. „Verschnürte Taubenfüße gehören leider zum täglichen Bild auf den Straßen“, erzählt die Taubenbeauftragte. Nicht selten sterben den Tieren Zehen ab, weil sie durch liegen- oder fallengelassene Fäden laufen und diese sich um die Füßchen schnüren. Allein haben sie keine Chance, diese wieder loszuwerden. „Wir fangen die Tiere ein und gehen bei dramatischen Fällen zum Tierarzt, um abgestorbene Zehen entfernen zu lassen.“ Und nicht nur das ist ein Problem für die friedlichen Tiere. Denn leider sind sie vielen Menschen derart ein Dorn im Auge, dass diese auch zu ganz drastischen Mitteln greifen: „Leider werden uns immer wieder angeschossene Tauben gemeldet, zum Beispiel in Zuffenhausen am Bahnhof. In der Königstraße fanden wir auch schon viele vergiftete Tauben. Wir melden das natürlich der Polizei, leider bisher ohne Erfolg“, erzählt mir die Taubenschützerin.
Bild: Silvie Brucklacher-Gunzenhäußer
Und nicht nur Futter, auch Brutplätze sind so gut wie nicht vorhanden. Als Nachfahren der Felsentauben brüten Stadttauben hauptsächlich auf Häusern, Mauern oder Brücken. Mittlerweile werden dort zur Taubenabwehr jedoch oft Abwehrnetze oder dünne Metallspitzen (Spikes) angebracht. Da Tauben jedoch sehr anpassungsfähig sind, brüten sie nicht selten zwischen diesen Metallspitzen und verletzen sich leider immer wieder schwer oder bleiben in den Netzen hängen.
Dass diese Tiere derart gehasst werden, liegt vielleicht auch daran, dass jede Menge Gerüchte über sie im Umlauf sind. So wird ihnen nachgesagt, sie seien schmutzig und würden Krankheiten übertragen, dem ist aber definitiv nicht so. „Das deutsche Gesundheitsministerium hat bereits vor 40 Jahren bestätigt, dass Tauben keinerlei Krankheiten auf den Menschen übertragen. Das bestätigen übrigens auch Millionen Taubenzüchter auf der ganzen Welt“, weiß Silvie. Auch als dumm werden die Tiere gerne mal bezeichnet. Das Gegenteil ist der Fall. Sie sind multitaskingfähig, haben einen außerordentlich guten Orientierungssinn und viele bestehen sogar den Spiegeltest, was bedeutet, dass sie sich ihrer selbst bewusst sind. Nur bei wenigen nichtmenschlichen Tieren ist dies der Fall. Zudem sind sie sehr soziale Tiere, liebevolle Eltern und sie leben monogam. Haben sie also mal einen Partner gefunden, bleiben sie meist ein Leben lang zusammen.
Wir Menschen machen diesen Tieren das Leben wirklich nicht leicht. Im Gegenteil. Anstatt nach Lösungsmöglichkeiten zu suchen, wie wir die Tiere, die wir uns ja auch entsprechend herangezüchtet haben, bestmöglich unterstützen können, suchen wir ständig nach Möglichkeiten, sie auf grausame Weise irgendwie loszuwerden. So lassen wir sie lieber vehungern oder lassen ihnen das Genick brechen (siehe Limburg). Dabei wäre es doch viel einfacher und auch nachhaltiger, ein paar Euro mehr in die Hand zu nehmen und mehr Taubenschläge zu errichten. Projekte wie die in Stuttgart oder Augsburg zeigen ja, dass es funktioniert. Außerdem braucht es mehr Menschen, die sich aktiv für diese Tiere einsetzen. Die beim Gang durch die Stadt hinsehen, auffällige Tiere beobachten und wenn nötig, bei der Taubenhilfe anrufen. Es braucht Menschen, die sich aktiv um die Taubenschläge kümmern oder Menschen, die ein paar Euro an die spenden, die das alles bereits tun. Speziell für die Taubenschlagbetreuung am Wochenende werden noch Helfer gesucht! Es gibt also jede Menge Möglichkeiten, aktiv zu werden.
Wer mehr über das Stuttgarter Stadttaubenprojekt erfahren oder helfen möchte,
der kann auf der Webseite oder bei Facebook vorbeischauen!
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Woran erkennt man, ob eine Taube Hilfe braucht?
„Wenn eine Taube aufgeplustert ganz ruhig in der Straße sitzt, kann man vorsichtig probieren, ob sie wegfliegt oder sich bewegt, wenn man auf sie zugeht. Bleibt sie sitzen ist es am besten, das Tier zu sichern, zum Beispiel mit einer Jutetasche oder einem Karton. Danach kann man uns vom Stadttauben-Projekt anrufen.“
Bild: Silvie Brucklacher-Gunzenhäußer
Danke für den guten, interessanten Bericht liebe Tanja !!
Ich hab zu danken 🙂 Freut mich, dass er dir gefällt!!
Sehr schön, dass es Menschen gibt, die sich um die armen Tiere kümmern. Würde auch gerne etwas spenden.
Wie toll 🙂 Hier ist wirklich jede Hilfe sehr willkommen 🙂