Undercover für die Tiere
Seine Bilder bringen ans Tageslicht, was viele ansonsten niemals zu Gesicht bekommen würden und wovor der ein oder andere vielleicht auch gerne die Augen verschließen möchte. Der „Rechercheheini“, wie er sich auf Instagram nennt, zeigt mit seiner Arbeit, wie sehr Tiere in der Tierindustrie leiden. Totgeschlagene Ferkel, angekettete und verängstigte Tiere, Kadavertonnen – er hat vermutlich schon jede Grausamkeit gesehen und abgelichtet. Alles Einzelfälle? Wohl kaum. Dafür waren es einfach schon zu viele Einsätze. Wie seine Arbeit genau aussieht, wie er sich darauf vorbereitet und wie er es schafft, emotional nicht daran zugrunde zu gehen, hat er mir im Interview erzählt.
Titelbild: Timo Stammberger, Bilder im Beitrag: Rechercheheini
Wie lange bist du schon undercover unterwegs und wie kam es dazu?
2009 habe ich realisiert, dass es nicht ausreicht, vegetarisch zu leben, wenn man nicht auf Kosten des Lebens der Tiere leben möchte. Dementsprechend bin ich vegan geworden. Das war dann auch der Moment, in dem mir bewusst wurde, dass ich mehr machen wollte als nur eben nicht Teil dieser Tierquälerei zu sein. Damals war ich Teenager und voller Tatendrang, aber ohne dass mich jemand, der in diesem Bereich Ahnung hatte, wirklich ernst oder gar mitgenommen hätte. Also musste ich sehen, wie ich es selbst hinbekomme. Von meinem Bruder habe ich eine Kamera bekommen (damals noch mit MiniDV), mit der ich undercover in eine Putenmast gegangen bin. Auch Zirkusse waren ein gutes Ziel, da es dort relativ einfach war, die Zustände zu filmen. Sie können sich nämlich nicht so krass absichern wie standorttreue Anlagen. Zusammen mit Freund*innen habe ich mich immer weiter professionalisiert und noch während unserer Schulzeit hatten wir unsere erste Veröffentlichung bei frontal 21 im ZDF. Ein wirklich großer Schritt, denn so wurde schnell klar, wie wichtig unsere Aufklärungsarbeit ist. Inzwischen arbeiten wir natürlich auf einem ganz anderen Niveau, professionalisieren uns immer weiter, schauen immer wieder, was es braucht und wie wir unsere Ziele erreichen können.
Kannst/darfst du erzählen, an welchen Aktionen du schon teilgenommen hast? Und an wie vielen in etwa?
Ohne zu sehr ins Detail gehen zu wollen, kann ich sagen, dass ich in den letzten Jahren an 17 von 22 Schlachthof-Veröffentlichungen beteiligt war. Ich habe mit Gordon und Aljosha (damals „Vegan ist ungesund“) und mit Robert Marc Lehmann gedreht und Material für Formate wie Frontal, Report Mainz und Stern TV sowie für Fernsehsender wie RTL oder Pro7 produziert. Ich würde also schon sagen, dass ich ganz gut dabei bin und einiges an Erfahrung mitbringe.
Zur Anzahl: Tatsächlich habe ich nach 100 Einsätzen aufgehört zu zählen. Natürlich waren nicht alles Betriebe, die dann auch veröffentlicht wurden, denn früher sind wir auch aus reinen Übungszwecken zu vielen Anlagen gefahren. Das ist aber auch schon Jahre her.
„Während der Arbeit kann ich sämtliche Emotionen ausblenden. Anders wäre ein solcher Einsatz nicht möglich, es würde einen schlichtweg zerstören.“
Wie laufen solche Aktionen genau ab? Wie bereitest du dich darauf vor?
Die Aktionen sind immer mit entsprechender Vorarbeit verbunden und natürlich auch mit einer gewissen Anspannung, wenn es um die Umsetzung geht. Man weiß ja nie, was auf einen zukommt. Erleichtert wird das Ganze aber durch die ganzen tollen Menschen, mit denen ich zusammenarbeite. Gerade bei langen, intensiven Recherchen, die über mehrere Tage gehen, freue ich mich ganz besonders, mit coolen Menschen arbeiten zu können, mit denen es neben all der Belastung auch einfach Spaß macht.
Geht ihr nur auf Höfe, bei denen Missstände bekannt sind oder geht ihr auch mal stichprobenartig in solche Anlagen?
Das kommt sehr darauf an. Es gibt systematische Probleme, die man überall findet. Es gibt auch besonders krasse Whistleblows, denen man nachgeht. Es kommt immer darauf an, was man gerade aufzeigen möchte.
Was macht das mit dir, wenn du in solchen Anlagen stehst? Kannst du da einfach „funktionieren“ und deine Emotionen vor der Tür lassen?
Tatsächlich kann ich während der Arbeit sämtliche Emotionen ausblenden. Anders wäre ein solcher Einsatz auch nicht möglich, es würde einen schlichtweg zerstören. Während der Arbeit funktionieren wir einfach. Wir haben eine Aufgabe, die es zu erledigen gilt. Der Fokus liegt dann vollkommen darauf. Mich währenddessen auf jemanden vor Ort einzulassen, empathisch zu sein, versuche ich aktiv zu vermeiden. Das kommt dann spätestens bei der Sichtung und dem Schnitt und ist heftig genug. In der Anlage zu stehen und sich dann die Grausamkeit bewusst zu machen, ohne dabei handeln zu können – das sind ganz krasse Momente. Dementsprechend versuche ich da, rational vorzugehen.
„Allein die Anzahl der Veröffentlichungen zeigt, dass es keine Einzelfälle sind.“
Abgesehen davon, dass es emotional sicher eine sehr herausfordernde Arbeit ist, ist sie ja auch nicht ganz ungefährlich. Trotzdem nimmst du das alles auf dich. Warum machst du das? Was ist dein Antrieb?
Tatsächlich sind die Einsätze meistens recht gefährlich. Das Einzige, was wir dafür machen können, ist entsprechendes Training, Übung und strategisches Verständnis. Inzwischen sind wir an einem Punkt angelangt, an welchem wir Spezialeinheiten gleichen. Wir haben einen ganz speziellen Arbeitsbereich, in dem wir uns stets zu perfektionieren versuchen. Das Ergebnis sieht man in den Veröffentlichungen. Mein Antrieb? Ein System der Tierquälerei, das so nicht tragbar ist. Es ist jedes Mal ein neuer Versuch und ein anderer Ansatz, den Menschen aufzuzeigen, was tierische Produkte für die Opfer bedeuten. Außerdem kann ich mit Ungerechtigkeit nicht sehr gut umgehen. Ich habe oft das Verlangen, eingreifen zu müssen. Ich wünsche mir eine Welt, in der jede*r ohne Diskriminierung leben kann – egal welches Geschlecht, welche Sexualität, welche Hautfarbe – und egal, ob mit Schuppen, Pelz oder Federn „bekleidet“.
Wie geht es dir nach solchen Einsätzen?
Es kommt natürlich sehr auf den jeweiligen Einsatz an. Zunächst bin ich meist einfach erleichtert, wenn die Anspannung des Einsatzes von mir abfällt. Gleichzeitig bin ich aber häufig auch erschöpft, weil wir bei den Einsätzen mitunter wirklich an unsere Grenzen kommen. Das Schönste ist dann der Moment, wenn alles abgeschlossen ist, die Recherche kurz vor der Veröffentlichung steht und man nur darauf wartet, dass es so richtig krachen wird. Entsprechend geht damit aber manchmal auch die Ernüchterung einher, wenn man es doch mal falsch eingeschätzt hat oder der Algorithmus einem die Reichweite zerschießt. Aber damit muss man leben. Meist läuft es aber alles ganz gut.
„Der Versuch der Tierindustrie, durch die Eröffnung von Nebenschauplätzen vom Thema Tierquälerei abzulenken, ist so bekannt wie ausgelutscht.“
Man hört ja immer wieder, dass die erschütternden Bilder, die regelmäßig veröffentlicht werden, absolute Ausnahmen sind. Was sagst du dazu? Gibt es Missstände, die in jeder Anlage auftreten?
Allein die Häufigkeit der Veröffentlichungen zeigt bereits, dass es kein Zufall ist, wenn Tierrechtsorganisationen fordern, Tierquälerei nicht zu unterstützen. Es gibt aber schon Praktiken, die häufig stattfinden und andere, die eher seltener zu finden sind und damit eher in Richtung Einzelfall gehen. Während das Erschießen von Tieren zum Beispiel eher Einzellfälle sind, sind die meisten Praktiken doch eher Standard. Zugrunde liegt vor allem, dass Tiere nichts wert zu sein scheinen und dass man möglichst effizient arbeiten möchte. Entsprechend weit verbreitet ist es, dass Ferkel, die für „nicht lebensfähig“ gehalten werden, nicht wie vorgesehen getötet werden, sondern sie in den meisten Betrieben einfach mit dem Kopf auf den Boden geschlagen und dann entsorgt werden. Sind sie nicht direkt tot, verenden sie jämmerlich in der Kadavertonne.
An diesem Punkt ist wichtig zu sagen, dass es sich bei den sogenannten „nicht lebensfähigen“ Ferkeln keinesfalls um Tiere handelt, die aus medizinischer Sicht lieber zu erlösen wären. Vielmehr handelt es sich um Tiere, die etwas kleiner und schwächer sind. Ihre Aufzucht würde einfach mehr Aufwand erfordern. Man müsste sich eventuell kümmern. Da sich dies „nicht lohnt“, werden sie lieber sofort getötet.
Sehr deutlich sichtbare und systematische Tierquälerei ist aber auch die Anbindehaltung, die zwar (ganzjährig) illegal ist, aber dennoch geduldet wird. Ebenfalls die Betäubung von Schweinen mittels CO2 bedeutet nichts als pure Tierquälerei. Dennoch ist sie die meist verwendete Betäubungsform.
Wie geht es dir damit, wenn teilweise mehr über die Stalleinbrüche an sich diskutiert wird, als über die Aufdeckungen, die damit erreicht wurden?
Der Versuch der Tierindustrie, durch die Eröffnung von Nebenschauplätzen vom Thema Tierquälerei abzulenken, ist so bekannt wie ausgelutscht. Es gibt keine andere Möglichkeit, weit verbreitete illegale und tierquälerische Praktiken, wie etwa das grausame Totschlagen von Ferkeln, aufzudecken. Wer behauptet, dass Veterinärämter dafür zuständig seien, verkennt, dass dies in Anwesenheit von Veterinären wohl kaum stattfinden würde oder dass zum Beispiel in den zahlreichen Fällen der letzten Jahre, als Schlachthöfe veröffentlicht wurden, häufig Veterinäre anwesend waren und trotz Pflicht nicht eingriffen. Für die Aufdeckung systematischer Tierquälerei sind Tierrechtsorganisationen und Rechercheteams unverzichtbar.
Gibt es ein Erlebnis, das dir besonders in Erinnerung ist?
Jede Recherche ist ganz eigen. Sie alle hinterlassen ihre Erinnerungen und Erfahrungen. Eine singuläre herauszusuchen, ist da nicht so einfach.
Eindrücklich sind natürlich Situationen, in denen dich drei Leute von der Security mit Nachtsichtgeräten suchen oder Spaziergänger mit Hund nachts einen Meter an dir vorbei laufen, ohne dich zu sehen.
Besonders schön sind die Momente, wenn wir die Tiere, die wir befreit haben, das erste Mal in ihrer neuen Umgebung sehen. Das kann man einfach nicht oft genug erleben.
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