Was wir niemals sehen
Timo Stammberger fotografiert Orte, die wir normalerweise niemals zu Gesicht bekommen. Er fotografiert Schweine, die ihr Dasein in stickigen, dunklen und trostlosen Anlagen fristen müssen oder Hühner, die in enge Käfige gezwängt sind. Mit seiner Arbeit möchte er die Stimmen derer verstärken, die in unserer Gesellschaft nicht gehört werden. Seine Bilder sollen die traurige Realität einer grausamen Industrie ans Tageslicht bringen und Menschen zum Nachdenken anregen. Danke Timo, für deinen Einsatz und deine unglaublich wichtige Arbeit!
Bilder: Timo Stammberger
Timo, wie bist du zur Fotografie gekommen?
Auf jeden Fall nicht über den „klassischen“ Weg. Ursprünglich komme ich aus der Graffiti-Sprüher-Szene. Da haben wir unsere Arbeiten regelmäßig fotografiert und dokumentiert, wodurch ich zum ersten Mal richtig in Kontakt mit diesem Medium gekommen bin. Neben den Graffitis habe ich auch angefangen, Landschaften und Menschen zu fotografieren. 2006 habe ich dann in Berlin an der Ostkreuzschule angefangen, Fotografie mit Schwerpunkt Reportage- und Dokumentarfotografie zu studieren. Das Ganze ging dreieinhalb Jahre. Davor hab ich auch Architektur und Jura studiert. Habe aber beides abgebrochen, weil es mich nicht genug interessierte. Bei der Fotografie war das dann ganz anders. Da bin ich drangeblieben.
Wurdest du durch die Fotografie zum Veganer oder warst du schon vegan, bevor du damit angefangen hast, Tiere zu fotografieren?
Nach der Fotoschule hab ich angefangen, Geschäftsberichte, Porträts und Interior zu fotografieren. So richtig interessiert hat mich das aber auch alles nicht. Mir hat dabei immer etwas gefehlt. Die wirklich interessanten Fotoprojekte entstehen ja meist dann, wenn man auch ein persönliches Interesse mitbringt. Als ich dann vegan wurde, kam mir relativ schnell die Idee, das Thema Veganismus auch fotografisch zu bearbeiten. Und so hab ich angefangen, in Berlin innerhalb der Tierrechtsszene Aktivisten, Demos und Infostände zu fotografieren. Dabei habe ich innerhalb kurzer Zeit einen großen Teil dieser Bewegung kennengelernt. Die erste Investigativ-Recherche war dann sehr eindrücklich für mich. Sterbende Ferkel, direkt neben ihren Müttern, die sich in ihren Metallkäfigen kaum bewegen können. Dieses Leid das erste Mal mit meinen eigenen Augen zu sehen, hat mich nachhaltig bewegt und motiviert. Ich wusste, dass ich nun viele Jahre mit diesem Thema verbringen werde. So haben die Tierrechtsprojekte und der Aktivismus dann in meinem Leben einen immer größeren Teil eingenommen.
Was möchtest du mit deiner Fotografie bewirken?
Mein Ziel ist, dass das Leid auf dieser Welt reduziert wird, dass es allen Lebewesen gut geht – egal, wo wir uns befinden. Ich als weißer, heterosexueller, gesunder Mann bin einfach maximal privilegiert und ich sehe das ein Stück weit als meine Verantwortung – wenn nicht sogar als meine Pflicht – zu versuchen, die Welt ein bisschen besser zu machen. Und mich einzusetzen für die, die dieses Privileg nicht haben.
„Diese Anlagen sind wirklich düstere Orte.“
Wie kann man sich deinen "Arbeitsplatz" genau vorstellen? Ist es in solchen Anlagen laut? Wie riecht es? Ist es hell? Oder dunkel?
Das variiert von Anlage zu Anlage und ist auch ein Stück weit abhängig von der Tierart. Zum Teil ist das Licht dauerhaft an, beispielsweise bei Masthühnern. Weil die ja aktiv sein und die ganze Zeit essen sollen – das ist hier Teil des Systems. Bei Schweinen ist es ganz unterschiedlich. Manchmal ist das Licht an, manchmal aber auch nicht. Ist das Licht an, sind die Tiere natürlich aktiver und damit auch lauter. Ziemlich laut sind auch die Abluftsysteme, die immer wieder an- und ausgehen. Genauso wie die Silos und man erschrickt natürlich entsprechend, wenn die auf einmal angehen. Auch der Geruch ist schrecklich. Richtig schlimm ist es, wenn die Gülle randvoll ist und schon länger nicht mehr abgepumpt wurde. Nicht selten sieht es bei diesen Anlagen aus wie auf dem Schrottplatz. Löcher im Boden, Güllegruben oder Eisenstangen, die aus Wänden herausragen und die schnell zur Stolperfalle werden können. Alles in allem sind es meist wirklich düstere Orte.
Gibt es ein Bild mit einer ganz besonderen Geschichte?
Generell gibt es natürlich zu jedem Bild eine Geschichte. Manche sind emotionaler, andere weniger. Ganz besonders sind auf jeden Fall die Bilder, bei denen ich Blickkontakt mit den Tieren habe. Wenn mich ein Schwein ansieht, mit seinen großen blauen Augen, dann ist das schon ziemlich intensiv.
Spontan fallen mir da aber auch die Leichencontainer ein, die es in jedem dieser Betriebe gibt und in denen die toten Tiere gesammelt werden. Die sind immer sehr verstörend. Da erinnere ich mich an einen der ersten Container, den ich gesehen habe. Das war bei einer Entenmast. Die Container stehen meist in kleinen Häuschen. Als ich die Tür aufgemacht habe, hab ich nur einen kleinen Entenfuß herausragen sehen. Beim Näherkommen sah ich, dass das nur die Spitze des Eisbergs war. Die ganze Tonne war voll mit toten Enten und Maden. Der Boden war voll mit Blut. Ein anderes Mal lagen tote Küken auf dem Boden. Im Grunde sind das Tatorte, die man nur aus Horrorfilmen kennt. Man steht da und kann nur mutmaßen, was hier passiert ist.
Wow, das ist echt heftig. Wie schaffst du deine Arbeit emotional, wenn du dabei so viel Leid sehen musst?
Ein Stück weit ist es über die Jahre vermutlich eine Sache der Gewöhnung geworden. Jeder meiner Einsätze ist stressig, eine Ausnahmesituation. In den Anlagen ist es stickig, laut und die Angst, dass jemand kommt, sitzt uns auch ständig im Nacken. Mein Job ist es in dem Moment einfach, diese außergewöhnliche Erfahrung so emotional und nachempfindbar wie möglich an die Öffentlichkeit zu bringen. Einzig und allein darauf konzentriere und fokussiere ich mich.
Aber natürlich gibt es schon Situationen, die schwierig für mich sind. Wenn ich beispielsweise mit einzelnen Tieren interagiere, wenn sich unsere Blicke kreuzen. In solchen Momenten fällt es mir dann schwer, rational zu bleiben. Denn da ist dann jemand, der/die mich ansieht, ein fühlendes Lebewesen, das auf mich reagiert. In diesen Augenblicken wird mir das Leid auch noch mal viel bewusster – so wie ich glaube, dass es vielen Menschen viel bewusster werden würde, wenn sie auf Lebenshöfe gingen und beispielsweise Schweine in einem Umfeld beobachten könnten, in dem sie ihre natürlichen Verhaltensweisen ausleben können. Wir kennen Schweine ja eigentlich überhaupt nicht. Wir denken, sie seien schmutzig und es sei ok, sie in dunklen Betonbuchten einzusperren. Wenn Schweine aber dürfen, dann rennen sie durch die Gegend, sind neugierig, verspielt und haben einfach ’ne richtig gute Zeit. Ein Leben in einer derart dunklen und reizarmen Umgebung muss für diese Tiere einfach die Hölle sein.
Thema „Tierwohl“: Als jemand, der wirklich oft vor Ort ist, kannst du das sicherlich realistisch einschätzen. Ist es in diesen Betrieben wirklich besser geworden für die Tiere?
Grundsätzlich freue mich mich über jede Leidverminderung für die Tiere, die wir in diesem kaputten System halten oder noch darin hineinproduzieren.
Die Begriffe “Tierwohl” oder “Verbesserung” täuschen aber über die wirkliche Lebensrealität der Tiere hinweg und bedeuten nur minimalste Haltungssystemanpassungen. Sie erscheinen besonders absurd, wenn wir diese Tiere auf einem Lebenshof beobachten, wo sie ihren eigenen Bedürfnissen nachgehen können, denn damit haben die Tierwohl-Kampagnen nichts zu tun. Es erscheint mir eher als eine perfide Taktik der Industrie, um den nötigen, positiven Wandel so langsam wie möglich ablaufen zu lassen und den Konsument:innen das Gefühl zu geben, alles wäre ok.
Ich möchte mit meiner Arbeit weniger die Bedingungen, als vielmehr die generelle, systemische Ungerechtigkeit thematisieren. Wir können glücklich und gesund leben, ohne Tiere zu essen. Wir haben nicht das Recht, sie grundlos auszubeuten und zu töten.
Hast du die Hoffnung, dass deine Arbeit irgendwann mal eine Art Zeitzeugenbericht sein wird? So nach dem Motto: Schau mal, was wir Menschen damals den Tieren angetan haben?
Ich hoffe auf jeden Fall, dass unsere Arbeit dazu beiträgt, dass wir kollektiv mit Scham auf die Zeit zurückblicken, in der wir Tiere, Menschen und die Natur derart ausgebeutet haben. An sich habe ich den Anspruch aber nicht mehr, mit meiner Arbeit etwas zu bewegen. Das hört sich im ersten Moment vielleicht frustrierend an. Natürlich will ich meine Arbeit bestmöglich machen. Aber sie erschöpft sich eigentlich in der potentiellen Hoffnung, die ich den Opfern, den eingesperrten Tieren, damit bringe. Wenn ich mich in die Tiere hineinversetze und ich wäre an ihrer Stelle in dieser dunklen, stickigen Anlage und wenn ich wüsste, dass ich keine Chance habe, hier rauszukommen, dann würde es mir sehr viel bedeuten und mir Hoffnung geben, wenn ich sehen würde, dass Menschen sich da draußen für mich einsetzen. Auch, wenn es dem Tier selbst nichts mehr bringt. Aber dass jemand einen Meter für mich geht, würde mir unendlich viel bedeuten. Und genau das ist mein Antrieb. Großartig ist es natürlich, wenn durch meine Arbeit dann zusätzlich noch tolle Dinge passieren – etwa dass Menschen das Leid erkennen, selbst aktiv werden und damit Druck auf die Politik und die Industrie aufbauen.
„Ich hoffe, dass wir irgendwann mit Scham auf diese
Zeit der Ausbeutung zurückblicken.“
Wenn du jetzt im Moment die Stimme der Tiere wärst: Was würdest du den Menschen da draußen sagen?
Wir sind zwar nicht wie ihr, aber wir fühlen wie ihr und wir haben Bedürfnisse wie ihr. Wir haben ein Sozialleben und möchten Schmerzen vermeiden – genau wie ihr. Dass ihr uns leiden lasst, ausbeutet und tötet, ist nicht gerecht.
„In der Tierindustrie gibt es so vieles,
von dem wir keine Ahnung haben.“
Deine nächsten Projekte - kannst du schon darüber sprechen?
Gerade kam eine neue Fotoserie von mir raus. Es ist ein Projekt, mit dem ich Transparenz schaffen möchte, denn in der Tierindustrie gibt es so vieles, von dem wir keine Ahnung haben. Thematisiert wird hier, dass viele Tiere sterben, bevor sie überhaupt zum Schlachthof kommen. Bei Masthühnern sind das fünf Prozent, also 45 Millionen Tiere im Jahr (!) Damit diese Tiere entsorgt werden können, gibt es die Leichencontainer, von denen ich vorhin schon sprach. Die werden dann von der Anlage aus mit toten Tieren beladen und auf der anderen Seite werden sie abgeholt und zur Tierkörperbeseitigungsanlage gebracht, wo sie dann verbrannt werden. Ein anderes aktuelles Projekt ist eine abgebrannte Anlage in Alt Tellin, die ich dokumentiert habe. In dieser Anlage sind Ende März mindestens 50.000 Ferkel und 7.000 Mutterschweine verbrannt und erstickt.
Wie kann man dich und deine Arbeit unterstützen?
Am einfachsten kann man mich natürlich auf Social Media unterstützen. Beiträge liken, teilen, kommentieren. Ihr könnt mich aber auch mit euren Skills unterstützen. Falls ihr schreiben oder übersetzen könnt oder wenn ihr Grafik DesignerIn seid und gerne Teil meiner Arbeit sein möchtet, meldet euch gerne bei mir. Und natürlich könnt ihr auch gerne spenden und damit aktuelle und neue investigative Projekte ermöglichen.
Wer mehr von Timos Arbeit sehen und/oder ihn unterstützen möchte:
Aufrüttelnde Bilder, oder?
Lass mir gerne einen Kommentar da!
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