Von der Schweinehaltung zum Lebenshof
Vielen Veganern und Tierrechtsaktivisten wird ja gerne mal vorgeworfen, sie hätten doch keine Ahnung von der Tierindustrie und könnten eigentlich überhaupt nicht mitreden. Deshalb hab ich einfach mal eine Frau gefragt, die es wissen muss: Bis 2016 besaßen Tessas Eltern einen Schweinezuchtbetrieb – mit Sauen in Kastenständen und Mastschweinen in engen, dunklen Buchten. Heute führt die Familie einen Lebenshof. Mir hat Tessa erzählt, wie das Leben der Schweine früher aussah und was für ein Leben die Tiere im Gegensatz dazu heute führen dürfen.
Bilder: Lebenshof „Die Düdels“
Deine Eltern hatten bis 2016 einen Betrieb mit Sauenhaltung und Mastschweinen. Kannst du uns ein bisschen was darüber erzählen? Wie groß war euer Betrieb, wie viele Tiere habt ihr gehalten?
Unser Betrieb war sehr klein, mit wenig Automatisierungen und hohem Arbeitsaufwand pro Tier. Heute wäre der Betrieb schon lange nicht mehr wirtschaftlich. Wir hatten einen Betrieb mit 40 Sauen. Bis etwa 1990 haben wir die Nachzucht unserer Sauen mit etwa 25 Kilogramm an einen Viehhändler verkauft. Von diesem Viehhändler wurden die Tiere dann an einen Mastbetrieb geliefert. In den ersten Jahren standen unsere Sauen im Abferkelbereich auf Stroh, aber im Ferkelschutzkorb fixiert. Die Strohhaltung haben wir aufgrund der Arbeitsbelastung im Laufe der Jahre abgeschafft. Ab ca. 1990 haben wir unsere Ferkel selbst gemästet, da der Mäster mehr Tiere pro Fahrt holen wollte. Das Abholen der geringen Tierzahl rechnete sich für ihn nicht mehr. Wir konnten die Tierzahl aber nicht erhöhen, daher haben wir dann Stallumbauten vorgenommen und im eigenen Betrieb gemästet. So hatten wir Platz für etwa 250 Mastschweine. Die schlachtreifen Schweine hat mein Vater dann selbst zum Schlachthof gefahren, auf einem Viehanhänger mit Platz für etwa 8 Mastschweine (je 100 bis 120 Kilogramm). Der Schlachthof ist 13 Kilometer von uns entfernt.
Mittlerweile ist hinlänglich bekannt, dass Schweine a) sehr intelligente Tiere sind und zwingend Beschäftigungsmöglichkeiten brauchen, b) sehr soziale Tiere sind und ein ausgeprägtes Sozialleben haben und c) sehr reinliche Tiere sind. Ist es in einem Betrieb mit vielen Tieren überhaupt möglich, diesen Bedürfnissen in irgendeiner Weise gerecht zu werden?
An Beschäftigungsmaterial bekamen die Sauen und Mastschweine Heu, Gras und Stroh als Rauhfutter und als es Vorschrift wurde, zusätzlich Beschäftigungsmaterial in Form von hängenden Ketten. Die Läufer wurden bis 50 Kilogramm auf Stroh gehalten. Aber auch hier war der Arbeitsaufwand beim Misten der Ställe sehr hoch. Wir hatten auch einen eigenen Eber, der auf Stroh stand. Durch die damalige dauerhafte Einzelhaltung der Sauen im Kastenstand war ihnen ein Sozialleben natürlich nicht möglich. Die Mastschweine wurden in Gruppen gehalten. Hier konnten sie im Rahmen des zur Verfügung stehenden Platzes eine Rangordnung ausbilden. Den Bedürfnissen in vollem Umfang gerecht zu werden, ist in einem Betrieb, der auf Wirtschaftlichkeit ausgerichtet ist, aber kaum oder gar nicht möglich.
Schwanzbeißen ist in der Schweinehaltung ein verbreitetes Problem. Was kannst du zum Thema „Schwanzkupieren“ sagen? Soweit ich weiß, ist das ja schon lange nicht mehr erlaubt, es wird aber trotzdem noch angewandt. Ist das richtig?
Seit den 90er Jahren ist laut EU-Recht das routinemäßige Schwänzekupieren bei Ferkeln verboten. 2018 wurde festgestellt, dass gegen dieses Gesetz in Deutschland und anderen Ländern flächendeckend verstoßen wird. Meine Mutter hat Landwirtschaft gelernt und studiert und dabei gelehrt bekommen, dass Schweine im ersten Drittel des Schwänzchens keine Nervenbahnen haben und somit keine Schmerzen spüren. Entsprechend war die gängige Praxis. Heute ist dagegen längst erwiesen, dass die Ferkel natürlich Schmerzen aufgrund dieser Prozedur haben. Und nach meinem Kenntnisstand ist es auch heute noch zu großen Teilen so, dass die Schwänze kupiert werden. Das Kupieren der Schwänze ist wie das Schnabelkupieren bei Hühnern und Puten: es bekämpft vielleicht ein Symptom, aber niemals die Ursache des Problems. Und das Problem ist eben ein Haltungssystem, das den Bedürfnissen der Tiere nicht gerecht wird und die Tiere aufgrund dessen Verhaltensstörungen entwickeln.
„Meine Mutter hat Landwirtschaft gelernt und studiert und dabei gelehrt bekommen, dass Schweine im ersten Drittel des Schwänzchens keine Nervenbahnen haben und somit keine Schmerzen spüren. Entsprechend war die gängige Praxis. Heute ist dagegen längst erwiesen, dass die Ferkel natürlich Schmerzen aufgrund dieser Prozedur haben.“
Kannst du ein bisschen was über den Kastenstand erzählen? Er wird ja oft damit gerechtfertigt, dass die Muttersauen ohne diesen Kasten ihre Ferkel zerdrücken würden. Ich hab leider schon oft genau das Gegenteil gehört. Was kannst du dazu sagen?
Der Ferkelschutzkorb im Abferkelbereich ist in der Länge und Breite variabel. Die Sau wird so fixiert, dass sie stehen und liegen, sich aber nicht umdrehen kann. Ob das Zerdrücken der Ferkel am Ferkelschutzkorb liegt oder an der Sau selbst, können wir nicht aus eigener Erfahrung beurteilen. Die Sauen werden in der Zucht auch auf Muttereigenschaften selektiert. Wir können nur mutmaßen, dass sich das auch von Sau zu Sau unterscheiden kann. Der Ferkelschutzkorb dient aber auf jeden Fall dem Schutz der Mitarbeitenden. Er erleichtert den Umgang mit der Sau und das Hantieren mit den Ferkeln.
Wie sieht das Leben einer Sau genau aus? In welchem Alter bekommt sie die ersten Ferkel? Wie viele Schwangerschaften durchlebt sie? Wie lange darf sie ihre Ferkel „behalten“? Was passiert nach der Geburt?
Die Jungsauen werden mit etwa acht Monaten gedeckt. Damals gab es für die Sauen nur die Einzelhaltung im Kastenstand. Das heißt, dass sich die Sau nur auf dem Weg vom Kastenstand zum Abferkelbereich bewegen konnte. Im Abferkelbereich wurde sie dann im Ferkelschutzkorb fixiert.
Heutzutage durchlebt die Sau im Betrieb drei Stationen: das Deckzentrum im Kastenstand, den Wartestall in Gruppenhaltung ohne Fixierung und mit Körperkontakt zu anderen Sauen und den Abferkelbereich im Ferkelschutzkorb. Eine Sau bekommt im Schnitt 2 bis 3 Würfe pro Jahr, damals meist 8 bis 12 Ferkel pro Wurf, das unterscheidet sich aber je nach Alter der Sau. Je nach Betrieb und Management bleiben die Ferkel 4 bis 6 Wochen bei der Mutter. Die Sau wird wenige Tage nach dem Absetzen wieder rauschig und wird erneut besamt/gedeckt.
Wie entscheidet man /woran erkennt man, ob eine Sau „ausgedient“ hat?
Je älter die Sau wurde, desto mehr kleine Ferkel wurden geboren, teils 18 Ferkel pro Wurf, davon viele sehr klein und lebensschwach, teilweise auch Totgeburten. Auch hier ist es von Sau zu Sau unterschiedlich, ob überhaupt und in welchem Alter das auftritt.
Es kann verschiedene Gründe haben, warum die Sau ausgedient hat:
– Rausche bleibt aus
– Trächtigkeit bleibt aus („Umrauscher“)
– zu viele Totgeburten
– zu viele lebensschwache Ferkel
– zu niedrige Wurfgröße
– zu viele erdrückte Ferkel
Was kannst du uns zu den Ferkeln erzählen? Und wie reagieren die Muttersauen darauf, wenn man ihnen die Ferkel wegnimmt? Denkst du, sie spüren das und können das einordnen?
Die fitten Ferkel finden die Zitzen selbst und saugen auch sofort nach der Geburt. Es gibt aber leider immer wieder auch totgeborene und/oder kleine, schwache Ferkel. Die werden dann von Menschenhand an die Zitzen gesetzt. Wenn diese Ferkel den Rückstand nicht zeitnah aufholen, bleiben es Kümmerer. Diese Tiere brauchen in der Mast lange Zeit, um auf ihr Gewicht zu kommen und haben geringere tägliche Zunahmen. Bei diesen Tieren haben wir sicher draufgezahlt und auch die Fleischqualität leidet, je älter die Tiere werden.
Ganz schwache Ferkel werden leicht von der Mutter erdrückt. Sie suchen die Körperwärme und kommen so zu nah an den Körper. Wir haben die Ferkel beim Absetzen im Abferkelbereich gelassen und die Sau zurück in den Kastenstand gebracht. Dabei fällt es im Rückblick schon auf, dass die Sauen wieder zurück zu ihren Ferkeln wollten. Im normalen Stallbereich hatten die Sauen dann jeweils noch die Möglichkeit, sich für einige Stunden ihre Unruhe ablaufen zu können.
„Wir haben die Ferkel beim Absetzen im Abferkelbereich gelassen und die Sau zurück in den Kastenstand gebracht. Dabei fällt es im Rückblick schon auf, dass die Sauen wieder zurück zu ihren Ferkeln wollten.“
Was passiert mit Ferkeln, die zu schwach/zu klein sind? Kann man sich um sie kümmern?
Jedes schwache, kleine Ferkel bedeutet mehr Arbeitsaufwand und entsprechend mehr Zeit und Geld. Wenn man das leisten kann und will, geht natürlich auch die Aufzucht solcher Ferkel. Man kann auch Ferkelmilch zufüttern. Ich kenne aber auch Erzählungen von Mitarbeitenden, dass die lebensschwachen Ferkel nicht umkümmert werden, da sich der Arbeitsaufwand nicht lohnt.
Wie ging es euch damit, die Tiere zum Schlachter zu schicken?
Die Tiere wegzugeben war normaler Alltag für meine Eltern und auch für mich. Darüber gesprochen wurde nicht, es wurde auch nie in Frage gestellt. Es war so und damit ganz normal. Mein Vater war Landwirt in fünfter Generation, seine Familie hat immer Nutztiere gehalten. Ich als Kind mochte natürlich die kleinen Ferkel. Ich kann mich noch an einen Moment erinnern, den ich wohl nie vergessen werde. Eine Sau hatte gerade Ferkel geboren, meine Freundin und ich waren die ersten im Stall. Es gab mehrere sehr kleine, lebensschwache Ferkel, ihre Atmung war flach. Ich wickelte sie in meine Jacke und brachte sie zu meinem Vater. Er sagte: die sind nicht lebensfähig. Ich war sauer und erbost über seine Kaltherzigkeit. Wie es weiter ging, kann ich heute nicht mehr sagen.
Heute habt ihr auch noch Schweine - aber sie dürfen ein traumhaftes Leben leben und müssen keinen Zweck mehr erfüllen. Wie kam der Wandel? Gab es einen konkreten Auslöser dafür? Oder war es ein (längerer) Prozess?
Erst 2020 zogen wieder „Nutztiere“ bei uns ein. Dieses Mal aber ohne den Anspruch, Geld mit ihnen zu verdienen. Ich selbst habe zu dieser Zeit auf einem Betrieb mit Masthähnchen gearbeitet und einige der Hähnchen, die keine Chancen im normalen Bestand hatten, zu meiner Mutter gebracht. Aus den anfangs 5 Hähnchen wurden schnell 13, dann kamen gerettete Legehennen dazu und so erhöhte sich die Zahl der Hühner schnell. Während meinen Arbeitsverhältnissen in geflügelhaltenden Betrieben merkte ich mehr und mehr, was der Konsum tierischer Produkte für die Tiere bedeutet. Welchem Leid sie ausgesetzt sind, dass sie keine Chance auf Gerechtigkeit haben und den Menschen und dem System völlig ausgeliefert sind. Es hat einige Monate gedauert – auch durch den inneren Konflikt, schließlich war ich Teil des produzierenden und ausbeutenden Systems – aber ich wurde zur Veganerin. Und konnte bald auch meine Mutter davon überzeugen. Sie hat viel über ihre 30 Jahre in der Schweineproduktion nachgedacht und reflektiert. So wuchs in ihr der Wunsch, einigen geschundenen Schweineseelen ein schönes Zuhause zu geben und damit wieder etwas gutzumachen. Über Instagram stieß sie auf einen Vermittungsaufruf von der Schweinevermittlung und ging dann die notwendigen Schritte an, das heißt Zaunbau, Ställe herrichten, Veterinäramt mit ins Boot holen usw. Und so zogen im April 2022 die ersten Sauen bei uns ein. 2 Schafe und 2 Gänse folgten bald und der Lebenshof war geboren. Das ist der schöne Teil dieser Geschichte. Und es ist herrlich, dass wir den Hof für diesen Zweck nutzen können.
Wenn du das Leben eurer Schweine jetzt mit dem der Schweine aus eurem Betrieb früher vergleichen müsstest … was sind die prägnantesten Unterschiede?
Sie können einfach existieren, tun, was ihnen hier möglich ist, draußen, drinnen, in der Suhle, im Lehm, im Gras, auf Beton, sie spüren die Sonne, den Wind, den Regen, können sich bewegen, wenn sie möchten, sie können schlafen, wenn sie möchten, sie können sich Strohnester bauen und darin schlafen, nebeneinander und beieinander liegen, ihre Beine ausstrecken, Kirschen essen, Gras fressen. Sie sind keine Gebärmaschinen mehr. Sie sind kein Produktionsfaktor mehr, sondern leben ohne Nutzgedanken, jede endlich für sich selbst.
Wow, was für eine tolle Wandlung! Wie kann man euch unterstützen?
Tatsächlich am besten mit Patenschaften, sowie Geld- und Sachspenden. Auf unserem Instagram-Profil ist auch ein Link zu unserer Amazon-Wunschliste. Auch das Teilen von Inhalten bei Instagram ist eine Hilfe, denn es schafft Sichtbarkeit für unsere Tiere und unsere Arbeit.
„Unsere Sauen sind kein Produktionsfaktor mehr, sondern leben ohne Nutzgedanken, jede endlich für sich selbst.“
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Das ist wirklich so schön. Tolle Menschen, die so etwas auf die Beine stellen!!